Eine Symbiose von Poesie und Geometrie

Was fasziniert Menschen an der Zahl Pi? Bericht von einer skurrilen Tagung in Brandenburg
Von Norbert Lossau

Brandenburg - Schon beim Mikrofontest wird deutlich, worum es bei dieser Konferenz geht. Statt der üblichen "1, 2, 3" haucht der Redner "3, 1, 4, 1, 5" ins Mikro - die ersten Dezimalziffern der Kreiszahl Pi.

Im Cultur-Congress-Centrum der Stadt Brandenburg hatten sich am 14. März - dem so genannten Pi-Tag, wegen der US-Schreibweise 3/14 fur dieses Datum - die "Freunde der Zahl Pi" zu ihrer Tagung "Zirkumferenz" versammelt.

Die Konferenz ist eine bunte, bisweilen skurrile Mischung aus Mathematik, Kunst und Geisteswissenschaft. Da wird etwa eine Pi-Ziffernsuppe gelöffelt und der Film "Pi" vorgeführt, "Monologe im Pimannland" gehalten und die Bedeutung des Kreises im alten Ägypten und in der Renaissance reflektiert. Künstler, die sich von der Zahl Pi haben inspirieren lassen, stellen ihre Werke aus. Zu bewundern ist da beispielsweise der 3,14 mal 3,14 Meter große Pi-Teppich aus 2.500 gehäkelten Wollquadraten, bei dem verschiedene Farben für die Ziffern in der Dezimalfolge von Pi stehen.

Dass die Kulturgeschichte des Kreises eng verbunden ist mit der Entwicklungsgeschichte der Menschheit, gilt unter den nach Brandenburg gereisten Kreisverehrern als ausgemacht. Professor Wilhelm Pötters vom Institut für Romanische Philologie der Universität Würzburg fasziniert seine Zuhörer mit seinen mathematischen Forschungsarbeiten über Dante. Der scheint überall in Versrhythmen und Silbenzahlen die Zahl Pi versteckt zu haben. So enthalte beispielsweise Dantes "Gottliche Komödie" insgesamt 14.233 Verse - eine Zahl, die sich auch als achte Potenz von Pi mal 1,5 ausdrücken lässt.

Auch in den italienischen Sonetten, die stets aus 14 mal 11, also insgesamt 154 Silben aufgebaut sind, wittert Pötters die Kreiszahl Pi. Bei einem Kreis mit dem Durchmesser 14 ist ein Viertelkreisumfang ziemlich genau 11 und seine Fläche 154.

Dass andere Wissenschaftler dies schlicht für Zufälle halten, ficht indess Pötters nicht an. Er ist sich sicher, eine "Symbiose von Poesie und Geometrie" entdeckt zu haben und kann aus seinen Analysen sogar ableiten, dass Dante, der in einem Vers selbst eine "Lehre unter dem Schleier der seltsamen Verse" andeutet, mindestens fünf Dezimalstellen von Pi gekannt haben muss.

Es war indes mit Sicherheit ein chinesischer Mathematiker, der um 500 nach Christus Pi erstmals als Folge von Dezimalzahlen angegeben hat. Zuvor hatte man ausschließlich mit Brüchen gerechnet. Aber auch im europäischen Mittelalter galt noch der Bruch 22/7 als exakter Wert für Pi. Da ahnte man noch nicht, dass man die Zahl Pi niemals vollkommen exakt würde angeben können, weil eben die Dezimalfolge von Pi niemals endet.

Eine der Lieblingsbeschäftigungen der Pi-Freunde besteht heute darin, immer mehr Stellen dieser Zahl zu berechnen. Da durfte in Brandenburg ein Vortrag über jene mathematischen Kniffe nicht fehlen, die nötig sind, um auf einem PC oder Großrechner möglichst viele Nachkommastellen von Pi zu berechnen. Es ist eben gar nicht so einfach, auf einem Computer zwei Zahlen mit je einer Milliarde Stellen in akzeptabler Rechenzeit miteinander zu multiplizieren.

Es gibt heute zahlreiche Algorithmen, mit denen sich Milliarden Stellen von Pi berechnen lassen. Doch die schnellste, so versichert der Mathematiker Jörg Arndt, sei noch immer eine alte Formel des Schweizer Mathematikers Leonhard Euler (1707-1783), die allerdings in Vergessenheit geriet und erst im Jahr 1973 wiederentdeckt wurde.

Besonders viel Applaus erntete bei den Pi-Liebhabern der Mnemotechnikprofi Ulrich Voigt aus Hamburg. Er hatte innerhalb von nur zwei Monaten die ersten 5.000 Nachkommastellen von Pi "gelernt". Voigts Methode basiert darauf, dass er 100 Häuser aus seinem Wohnviertel mit gut merkbaren Fantasiegeschichten verbindet. Aus den Buchstaben in Schlüsselworten kann er dann wieder Ziffern generieren. Einer von Voigts Pi-Merksätzen lautete: "Voscherau schreibt im Café als WELT-Redakteur Artikel über Vampire."

Quelle: "Die Welt", Bereich Wissenschaft, 16.03.2002