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01.11.08

Isenheimer Altar ColmarIsenheimer Altar - M. GrünewaldIsenheimer Altar Colmar

Tonhalle Zürich, 31. Oct 2008, Tonhalleorchester, David Zinman (Dir.), Radu Lupu (Piano)

Arthur Honegger - Rugby, Mouvement symphonique No. 2 H 67
Paul Hindemith - Sinfonie "Mathis der Maler"
Johannes Brahms - Konzert Nr. 1 d-Moll op. 15 für Klavier und Orchester

Zwei befreundete Komponisten machten den Auftakt. Zunächst Arthur Honegger mit­ «Rugby», das sportlich-rhythmisch interpretiert wurde, jedoch immer unter Wahrung einer eleganten Ausgewogenheit, und anschliessend die sinfonische Fassung von Paul Hindemiths «Mathis der Maler». Drei Tafeln des Isenheimer Altars (Abb. oben, Details), gemalt von Matthias Grünewald, eben «Mathis», boten den Stoff zu den drei Sätzen des Werks. Und hier war es nun, als nähmen David Zinman und das Orchester die Idee der­ «subtilen und leisen Töne» auf. Selbstverständlich gab es vielschichtige Forteklänge und gewichtige Motorik, aber am meisten­ überraschte das Orchester mit seinem «­piano». Was für einem «piano»! Unglaublich zart, dabei warm und schmelzend schien es im Raum zu schweben.

Im zweiten Teil des Konzertes zeichnete der Pianist Radu Lupu ein spannendes, sich der Gefälligkeit entziehendes Bild von Johannes Brahms. Das erste Klavierkonzert ist eines jener Werke Brahms’, welches den Hörer nicht von der ersten Sekunde an einlullt und gleichsam mitschwemmt auf einer Woge der Musik, sondern sich einem allzu leichten Zugang versperrt. Ausgewogen und beinahe monumental geformt erklang das Werk im Orchester. Hier tönten bewegte Formen. In etwas anderem Tonfall gestaltete Radu Lupu den Solopart: Persönlicher, mal tändelnd, mal in langen Spannungsbögen vorwärts ziehend, rankte sich sein Spiel einer lebendigen Pflanze gleich um die Tonformen des Orchesters. Brillanz und virtuoser Flitter interessierten den rumänischen Pianisten nicht, aber er machte, indem er die Oberfläche aufbrach, die Substanz der Musik in einer Art und Weise verständlich, die pure Brillanz überstrahlte.

aus: Tages-Anzeiger 31.10.08, Anna Kardos, zum gleichen Konzertprogramm vom Mittwoch, 29. Oct 2008

Radu LupuJohannes BrahmsDavid Zinman

Theater Basel, 30. Oct 2008: ¡PASIÓN!, Zarzuela-Abend in Basel

Calixto Bieito und Joan Anton Rechi servieren in Basel einen leicht verdaulichen Zarzuela-Abend

Dieser Abend schmeckt. Es gibt frisch zubereitete Tortilla und leckeren Jamón Ibérico von schwarzen, mit Eicheln gemästeten Schweinen. Und wer Glück hat, bekommt in der Kleinen Bühne des Basler Theaters von den Akteuren auf der Bühne auch einen Becher Sangria gereicht. Und doch hinterlässt der einstündige Zarzuela-Abend “¡PASIÓN!”, den die beiden Katalanen Calixto Bieito und Joan Anton Rechi lustvoll in Szene setzen, keine bleibende Wirkung. Zu leicht verdaulich ist diese spanische Fiesta, zu wenig substantiell die gebotene Kost - es bleibt ein schaler Nachgeschmack.

iPasion!Die Küche ist das Zentrum des Abends. Hier wird gebraten und gekocht, geschnippelt und gevögelt. An den Fleischerhaken hängen nicht nur Schinken und Würste, sondern auch die Sopranistin Begoña Alberdi. Die Lust auf Fleisch hat neben der kulinarischen eben auch noch die erotische Komponente. Und so darf sich Karl-Heinz Brandt neben den Schweineschinken an Frauenbrüsten laben - auch Emilie Pictet zeigt im Laufe des Abends viel nackte Haut. Leandra Overmann, die schon im Basler “Don Carlos” und der Freiburger “Elektra” zu hören war, ist die unangefochtene Küchenchefin. Bereits beim humorvollen Beginn des Abends, wenn sich die schwarz gewandeten Musiker auf Kommando die Mäntel ablegen und der Bariton José Adán Pérez ein Schweinebein («¡Jamón!») aus seinem Gitarrenkoffer holt, bekommt Overmann einen eigenen Auftritt, den sie mit dem “Tango de la Menegilda” aus Federico Chuecas 1886 uraufgeführter Zarzuela “La Gran Vía” würzt.

Ende des 19. Jahrhunderts hatte diese spanische Form der Operette gerade in Madrid großen Erfolg. Ihre Themen stammen aus dem Alltag der kleinen Leute. Die Straße als Ort der Begegnung, die Küche als Hort der Familie. Auf der Suche nach der spanischen Nationaloper war diese heimelige, volkstümliche Gattung entstanden, die auch urspanische Tänze wie Flamenco, Bolero oder Sevillana mit einbezog.

“¡PASIÓN!” dieser lockere, mit dreizehn Musiknummern aus verschiedenen Zarzuelas gefüllte Abend, vertraut natürlich nicht dieser Idylle. Joan Anton Rechi, der letzte Spielzeit am Theater Freiburg den “Barbier” furios in Szene setzte, und Calixto Bieito zitieren lustvoll das spanische Kolorit, um es in grellen Farben auszumalen. Da zerrt Leandra Overmann der Reihe nach ihre Mitsänger an den Haaren unter die Spüle, um ihnen mal richtig den Kopf zu waschen oder rasiert dem Tenor Karl-Heinz Brandt beim Duo aus Francisco Barbieris “El Barberillo de Lavapiés” mit einem Hackebeil. Die Musiker um den Dirigenten Thomas Herzog versehen die Fiesta mit musikalischer Energie und genügend Schmalz, zwischen den einzelnen Nummern werden Gedichte von Lorca und Breton projiziert. Obwohl das Solistenensemble mit der bei Bieito immer notwendigen Hemmungslosigkeit agiert und auch musikalisch überzeugt, bekommt der Abend nur an wenigen Stellen theatralische Dichte. Man spürt es, dass “¡PASIÓN!” in nur wenigen Tagen zusammengemixt wurde. Die Übergänge von einer Szene zur anderen sind kaum ausgestaltet, die Balance ist nicht optimal, die grelle Oberfläche wird zu selten verlassen. Und so bleibt trotz Tortilla und Schinken in Basel am Ende das Gefühl, nicht satt geworden zu sein.

aus: crecendo.de vom 31.10.08, Von Georg Rudiger

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